Michel de Montaigne, Augustin de Saint-Aubin, 1774
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Ein Freund von mir hat einmal gemeint, das sei der Schlaueste der Schlauen. Da ich vermeintlich schon alle, aus meiner Sicht Schlauen, in meiner kleinen Bibliothek stehen habe, darf der nicht fehlen. Der muss sich natürlich auch dazu gesellen. Und das tat er dann zwei Tage später auch – mit sage und schreibe über zwei Kilogramm Eigengewicht.
Da liegt er nun. Der Schmöker von Michael de Montaigne. Schwer und riesig. Mal schauen, was der so geschrieben hat. Ich schaue mir das Inhaltsverzeichnis an. Interessant, ein Sammelsurium von vielfältigen Themen. Beim Überfliegen bleibe ich bei einem Kapitel hängen: Über die Menschenfresser. Cool, Kannibalen. Geschichten über Kannibalen haben mir als Kind schon immer einen Schauer über den Rücken gejagt. Als Kind gruselt man sich ja gerne. Aber als Erwachsener irgendwie doch auch noch – zumindest das Kind in uns. Das muss ich gleich als Erstes lesen.
Zuerst bin ich verblüfft, wie er das Thema angeht. Die Reise, auf die er einen mitnimmt, bis er beim eigentlichen Thema landet, ist erstaunlich. Von der Bewegung der Landmassen über die Forschungsreisenden landet er schliesslich bei den sogenannten Menschenfressern. Er prangert die aber nicht so sehr an wie die Besatzer, welche die Gefangenen nämlich durch ihre brutale Behandlung verderben.
Was mich ärgert, ist keineswegs, daß wir mit Fingern auf die barbarische Grausamkeit solcher Handlungen zeigen, sehr wohl aber, daß wir bei einem derartigen Scharfblick für die Fehler der Menschenfresser unseren eignen gegenüber so blind sind.
Michel de Montaigne, Über die Menschenfresser
Ja, der Michel de Montaigne hatte einen scharfen Blick, das merkt man an seinen Ausführungen. Was ihn mir sehr sympathisch macht, ist, dass er sich zu einer Zeit, in der das Töten und Hinrichten von Menschen eigentlich schon fast zur Tagesordnung gehörte, schon Gedanken über das Töten der Tiere gemacht hat.
Nie vermochte ich für mein Teil auch nur die Verfolgung und Tötung eines unschuldigen Tieres ohne Schmerz in mir anzusehen, das wehrlos ist und uns nichts zuleide getan hat.
Michel de Montaigne, Über die Grausamkeit
Michel de Montaigne war auf jeden Fall unglaublich belesen. Er muss irgendwie alles, was es damals zu lesen gab, aufgesogen haben. Und alle Philosophen mit Rang und Namen waren ihm wohlbekannt. Ich bin immer wieder verblüfft, was er für Anekdoten und geschichtliche Ereignisse aufzeigt und sie mit einem Thema verbindet.
Ein wichtiges Merkmal von ihm ist, dass er immer versucht hat, die einfachsten Begriffe und Ausdrucksweisen zu verwenden. Daher sind seine Essays sehr gut verständlich und angenehm lesbar.
Wäre es mein Anliegen gewesen, um die Gunst der Welt zu buhlen, hätte ich mich besser herausgeputzt und käme mit einstudierten Schritten daherstolziert. Ich will jedoch, daß man mich hier in meiner einfachen, natürlichen und alltäglichen Daseinsweise sehe, ohne Beschönigung und Künstelei, denn ich stelle mich als den dar, der ich bin.
Michel de Montaigne, An den Leser
Und die hat er nämlich erfunden, die Essays. Er handelt also einzelne und isolierte Themen in einem überschaubaren Rahmen ab. Seine Schriften laden daher ein, immer wieder mal ein bisschen darin zu blättern und zu lesen.
Ob er nun wirklich der Schlaueste der Schlauen war? Ich glaube, das muss jeder für sich beurteilen. Aber sympathisch ist er auf jeden Fall. Sehr.
Der Schmöker