Erdbeere
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Wieso lächeln buddhistische Mönche eigentlich immer? Ihre Religion dreht sich doch um das Leid und vor allem um den Weg der Erlösung daraus? Dass es definitiv viel Leid auf der Welt gibt, kann niemand leugnen. Wir sind bloss Meister darin, es auszublenden. Das ist auch verständlich, denn wenn wir das ganze Leid auf uns laden würden, würden wir daran zerbrechen. Es geht hier aber nicht um offensichtliches Leid wie Hunger oder Gewalt. Leid kann eben auch viel subtiler sein. Es ist nämlich schlichtweg ein Mangel – ein Fehlen von etwas.
Aber man kann doch auch an zu viel leiden? Zum Beispiel an zu viel Lärm, um nur ein Beispiel zu nennen. Theoretisch ja, aber das ist eben auch nur ein Mangel. Das zeigt sich daran, dass wir uns, wenn wir Lärm ausgesetzt sind, nicht weniger Lärm wünschen, sondern wir wünschen uns Ruhe. Es ist also ein Mangel an Ruhe.
Und Mängel müssen eben nicht zwingend physisch sein. Das kann auch nur in unserem Kopf stattfinden. Wenn wir etwas unbedingt wollen und das nicht so eintrifft, wie wir das erwarten, sind wir unglücklich. Das Fehlende ist nicht eingetroffen.
Grundsätzlich will ja jeder von uns nur seine Bedürfnisse erfüllen, die natürlich mannigfaltig verschieden sind. Das liegt in unserer Natur. Das bestätigt auch der Neurologe Antonio R. Damasio, wenn er die Prozesse in unserem Körper beschreibt – von den Stoffwechselprozessen bis hin zu den Emotionen:
Sie alle dienen demselben übergeordneten Ziel - überleben in einem Zustand des Wohlbefindens.
Antonio R. Damasio, Der Spinoza Effekt, S.49
Aber dann sollten doch, wenn wir ein Wohlbefinden erreicht haben, unsere Bedürfnisse verschwinden, oder? So einfach ist es eben nicht. Schon Siddhartha Gautama hat gepredigt, dass jedes befriedigte Bedürfnis ein neues erzeugt. Und zwar, weil wir uns dran gewöhnen. Nehmen wir ein Extrembeispiel: An den ersten Fallschirmsprung erinnert man sich sicher immer, wenn man sich denn so etwas Wildes überhaupt traut. Aber an den dreiundzwanzigsten dann auch noch? Wenn ja, dann sicher nicht mehr in der Intensität wie beim ersten Mal. Ist einfach so. Regelmässige Reize stumpfen ab. Und noch schlimmer: Sie hinterlassen mit der Zeit ein Gefühl, dass etwas fehlt, auch wenn man sie regelmässig bedient. Man will dieses Glücksgefühl, diesen Kick, wieder erleben. Nur geht das eben nicht in der gleichen Intensität. Also verursacht das indirekt wieder Leid, weil es das Wollen fördert.
Alles Wollen entspringt aus Bedürfnis, also aus Mangel, also aus Leiden.
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung
Das ist auch der Grund, warum «mehr» ab einem gewissen Punkt nicht glücklicher macht. Daher ist es gut, wenn wir zwischendurch Verzicht üben. Nur sind wir uns das leider fast nicht mehr gewöhnt. Wir leben im Überfluss. Alles ist das ganze Jahr über verfügbar. Im Supermarkt gibts das ganze Jahr Erdbeeren. Dabei sind doch die Ersten anfangs Sommer die besten.
Und wieso lächeln die Mönche jetzt immer? Weil sie begriffen haben, dass das Glück im Weniger-Wollen liegt. Und weil sie sich eben noch über frische Erdbeeren freuen können.
Westerners in particular tend to block any thoughts of suffering from the mind, in the belief that dwelling on the negative is a bad attitude. In fact, understanding the truth of suffering is actually appreciating the reality of our situation.
Geshe Tashi Tsering, The Four Noble Truths, S.32