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Die Ursache

Sonnenaufgang im Kloster
Sonnenaufgang im Kloster

Fotografie: ismael@raumundzeit.blog

 

Er hat sie nicht nur mit einer betrogen. Nein, es waren zwei. Das erzählt sie mir nach dem Mittagessen. Und zwar mit einer bemerkenswerten Ruhe und Fassung. Sie meint, er habe halt eine schwierige Phase.

Die erste war eine Partymaus. Eine selbstverliebte Narzisstin. Die wusste immer, wo was los war und wo man bis in die Morgenstunden ausgehen konnte. Er war Feuer und Flamme für sie. Mit der war was los. Mit der konnte man feiern. Die aber liess ihn fallen wie eine heisse Kartoffel. Von der Zweiten erzählt sie gar nicht viel.

Und dann sind da noch seine Kollegen. Kollegen, die sich regelmässig treffen, um Wein zu degustieren – in Unmengen. Im Prinzip sind es Saufkumpane. Kollegen, solange eine Flasche Wein auf dem Tisch steht. Sonst gibt es nicht viele Gemeinsamkeiten.

Der Alkohol ist ein Hund. Man fühlt sich stark und wird gesellig. Nur wer Alkohol trinkt, ist eben nicht stark. Im Gegenteil. Es braucht viel mehr Standhaftigkeit, um ihm auszuweichen. Er ist omnipräsent. Bei jedem Fest steht er auf dem Tisch. Bei jedem Markt und Zeltfest fliesst er in Mengen. Es geht scheinbar nicht ohne. «Moscht» ist ja sowieso kein richtiger Alkohol. Bier ist für den Durst und Wein für den Genuss. Und «äs Schnäpsle» ist noch immer gegangen, auch wenn man schon genug hat. Die Sucht ist näher, als man denkt.

Bei ihm nimmt der Alkohol immer mehr Raum in seinem Leben ein. Für ihn ist das Leben nur noch eine Party, von einem Fest zum andern, von einem Rausch zum nächsten. Sie mag nicht mehr. Sie muss aufpassen, dass sie nicht auch noch in die Alkoholsucht abrutscht. Sie braucht eine Auszeit. Darum sitzt sie jetzt im Kloster mir gegenüber und erzählt mir ihre Geschichte.

Aber nicht mal hier kann sie richtig Abstand nehmen. Er stört ihre Ruhe, weil er auf den Weihnachtsmarkt will. Sie hat Mitleid mit ihm, weil er ja niemanden mehr hat, der mitkommt. Alkohol macht gesellig, die Sucht aber einsam. Alleine würde er komplett abstürzen. Da geht sie lieber mit. Sie bittet ihn, wenigstens alkoholfreien Punsch zu trinken. Er meint, wieso soll man denn auf einen Weihnachtsmarkt gehen, wenn nicht wegen des Glühweins?

Am nächsten Tag sehe ich die beiden. Da drüben gehen sie. Über den Klosterplatz zum Weihnachtsmarkt hinunter. Sie gehen ziemlich auf Abstand – für ein Paar. Wie Teenager, die nicht so recht wissen, ob sie nun zusammen sind oder nicht. Er meint schon. Sie ist ja immer für ihn da, egal was er anstellt. Und sie – sie hatte Zeit zum Nachdenken. Er wird morgen mit einem Kater aufwachen.

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Gheshe Tashi TseringSimply denying ourselves pleasure is suppressing desire and will never work. The root cause is still there. Karma is the cause not the result.

Geshe Tashi Tsering,  The Four Noble Truths