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Das Schreiben

Das Schreiben

 

Und er hatte eben doch recht. Wie meistens. Irgendwo in einem Buch meinte Schopenhauer einmal, dass ein richtiger Philosoph schreiben muss. Das hat mich beeindruckt. Weil ich ja auch mal ein richtiger Philosoph werden möchte – irgendwann – vielleicht. Darum schreibe ich. Mir war das aber zuerst nicht klar. Ich kann doch auch einfach meine Schlussfolgerungen denken und vor mich hin philosophieren? Nur sind Gedanken eben flüchtig. Sehr flüchtig. Wir kennen das alle, wenn man einen Gedanken verliert: «Eben habe ich doch noch was Wichtiges gedacht. Wo ist das jetzt hin?» Wenn man Gedanken schriftlich formuliert, dann muss man sie auch prüfen. Und man muss sie zu Ende denken. Schreiben zwingt einen, so klarer zu denken. Wenn man dann seine Texte auch noch veröffentlicht, dann kommen manchmal Zweifel auf. Hat das Geschriebene auch Hand und Fuss, oder habe ich da bloss einen Käse zusammengereimt? David Hume hat es treffend zusammengefasst:

Wenn wir unsere Studierstube verlassen und uns in die allgemeinen Angelegenheiten des Lebens mischen, so scheinen die Ergebnisse jener Überlegungen dahin zu schwinden, wie nächtliche Gespenster beim Anbrechen des Morgens, und es wird uns schwer, auch nur den Grad der Überzeugung festzuhalten, den wir mit Mühe erlangt hatten.

David Hume, Traktat über die menschliche Natur - Über Moral

Der Schreibstil mit dem man seine Erkenntnisse kundtut ist natürlich auch wichtig. In der Tat erweist sich als von höchster Bedeutung und unabdingbarer Wesentlichkeit, dass die Notwendigkeit der Klarheit und Deutlichkeit im schriftlichen Ausdrucke sich als ein Moment der absoluten Vermittlung zwischen dem subjektiven Geiste erweist, der sich in der Sprache objektiviert, und dem anderen Bewusstsein, welches in der Rezeption des Geschriebenen die Einheit des Begriffs und der Anschauung zu erfassen hat, damit nicht das blosse Raten als ein unzulängliches Mittel der Erkenntnis des Gemeinten fungieren müsse.

Reingefallen! Das war ein Scherz! Ich meinte eben genau nicht in einem komplett abgehobenen Stile Hegels. Sondern ich meinte ganz einfach: Man soll klar und deutlich schreiben, damit das Gegenüber auch versteht, was man zu sagen hat, und nicht raten muss, was gemeint ist. Und auch, damit man in ein paar Jahren dann auch noch selber weiss, was man damit gemeint hat. Man umgibt sich dann halt nicht mehr mit einer so mystisch-philosophisch-intellektuellen, den eigentlichen Inhalt verschleiernden und zu Spekulationen ermutigenden Aura. Und als Autor wirkt man dann leider nicht mehr so intellent, sondern etwas hemdsärmeliger, aber man versteht einen wenigstens.

Ihr seht, ich kann mich nicht für Philosophen erwärmen, die sich unverständlich ausdrücken und nur für ihresgleichen schreiben. Schopenhauer konnte es auch nicht. «Ihre Sätze schreiten beständig auf Stelzen einher», meinte er einmal. Sich klar auszudrücken, ist aus meiner Sicht eine Stärke – keine Schwäche.

Für den Leser ist es auch interessant zu Wissen aus welcher Motivation man schreibt. Schopenhauer hat das provokant auf den Punkt gebracht:

Zuvörderst gibt es zweierlei Schriftsteller: solche, die der Sache wegen, und solche, die des Schreibens wegen schreiben. Jene haben Gedanken gehabt oder Erfahrungen gemacht, die ihnen mitteilenswert scheinen; diese brauchen Geld, und deshalb schreiben sie, für Geld.

Arthur Schopenhauer, Über Schriftstellerei, §272

Mein Buch verkaufe ich im Fall zum Selbstkostenpreis. Nur damit ihr wisst, zu welcher Sorte ich gehöre.

Was ich aber vor allem am Schreiben am allerwichtigsten finde: Es räumt den Kopf auf. Was man festgehalten und zu Ende gedacht hat, kann man loslassen. Es gibt wieder Freiraum im Kopf und man kann sich wieder Anderem widmen. Und was auch nicht zu unterschätzen ist: Was man mal formuliert und niedergeschrieben hat, das bleibt einem wesentlich präsenter im Gedächtnis.

Irgendwie habe ich jetzt grad die ikonische Filmszene aus dem ersten Teil von Herr der Ringe im Kopf. Die Schlüsselszene von Gandalfs Kampf mit dem Dämon Balrog. Die Philosophie ist manchmal auch ein Kampf – mit seinen eigenen Dämonen. Gandalf hält sich noch mit letzter Kraft am Felsen fest, bevor ihn der Balrog mit in die Tiefe reisst. In meinen Gedanken hängt nicht Gandalf da und ruft seinen Gefährten zu: «Flieht, ihr Narren!» – sondern da hängt Schopenhauer und ruft uns zu: «Schreibt, ihr Narren!»

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Mein «Bruder im Geiste», Ernst Ziegler, zieht auch Autoren vor, die klar und deutlich schreiben. Hier sein lesenswertes Essay dazu:

Wissenschafts-Chinesisch und Akademiker-Deutsch