Die Geister

Veröffentlicht am 31. Oktober 2024 um 18:00

Buchdeckel

Fotografie: ismael@raumundzeit.blog

 

Während Hegel vom Weltgeist faselte, ging Schopenhauer richtig auf Geisterjagd. Was um Himmels Willen hatte er sich dabei gedacht, sich auf dieses Thema einzulassen? Da kann man sich doch nur die Finger verbrennen. Aber so war er eben, der Schopenhauer. Nichts war ihm zu heilig, um ihm auf den Grund zu gehen und es zu analysieren. Und so hat er sich dem zu dieser Zeit sehr beliebten Geistersehen gewidmet. Vielleicht hat er erkannt, dass er irgendwie nicht um das Thema herumkommt:

Der Gespensterglaube ist dem Menschen angeboren: Er findet sich zu allen Zeiten und allen Ländern, und vielleicht ist kein Mensch frei davon.

Arthur Schopenhauer. Versuch über das Geistersehen

Schopenhauer versuchte, die Erscheinungen von der idealistischen Seite her zu erklären. Er analysierte Träume, Traumphasen, Schlafwandler, Hellseher und dutzende Berichte von «Augenzeugen». Er untersuchte das Thema so wissenschaftlich, wie es halt bei so einem Thema geht. Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist nicht, wie man es erwarten würde. Schopenhauer hält Erscheinungen für möglich, teilweise sogar als erwiesen. Er zeigt aber klare Parallelen zum Träumen auf. Darüber, wie diese Erscheinungen im Kopf (und eben nur im Kopf) ausgelöst werden, bleibt er auch nur recht spekulativ. Er selbst musste am Schluss seiner Untersuchungen auch zugeben, nur ein schwaches Licht in die Sache gebracht zu haben.

Während Schopenhauer mit klarem Geist versuchte, dieses Geisterthema endgültig zu erklären, wuchs in Dnipro, in der heutigen Ukraine, die Geisterbeschwörerin Helena Petrovna Blavatsky auf, die Mutter des «Unerklärlichen».

Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891) war sozusagen die Gründerin der Esoterik und des Okkultismus. Und massgeblich an der Gründung der Theosophischen Gesellschaft beteiligt. Ihr ging es nicht ums Erklären. Im Gegenteil: Je mystischer, je besser. Man braucht nur einen Blick auf ihr unsägliches Wappen und auf ihre Werke zu werfen, und dann weiss man, woher der Wind weht: Die Geheimlehre, praktischer Okkultismus, Isis entschleiert.

Blavatsky war schon sieben Jahre in Tibet, als es noch komplett unzugänglich war. Sie konnte zu den Geistern der Grossen Weissen Bruderschaft der Meister sprechen, die im Himalaya leben sollen. Die haben ihr dann Briefe geschrieben. Man braucht ja schliesslich einen schriftlichen Beweis. In Tibet ist sie dann dem Meister Morya begegnet, der von der Venus eingereist ist und der (unter anderem) der Buddha ist. Irgendetwas mit Atlantis war da dann auch noch. Das Ganze wird mit einer abstrusen Rassentheorie gespickt. Von den Mondurvätern bis hin zu der höchstentwickelten germanischen arischen Unterrasse. Es stellt einem alle Nackenhaare auf ab so viel hanebüchenem Unsinn.

Schopenhauers Untersuchungen waren leider nicht so populär wie die Blavatsky. Und sie konnten ihren Geistergeschichten auch nicht wirklich etwas entgegenhalten. Gegen die Blavatsky und die Geister, die sie gerufen hat, war scheinbar kein Kraut gewachsen. So konnte sie weiter ungehindert ihre Theorien in alle Windrichtungen verteilen. Die Nazis, vor allem der Himmler, waren von ihrer «Wurzelrassentheorie» so angetan, dass sie sogar eine Expedition in den Himalaya geschickt haben, um den blond gelockten Ur-Arier zu suchen. Was dieses kranke Gedankengut von einer überlegenen Arier-Rasse dann noch alles angerichtet hat, wissen wir ja alle noch allzu gut. 

Theodor W. Adorno hatte die Gefahren und den Einfluss des Okkultismus während der NS-Diktatur erkannt und nach dem Krieg treffend mit ihm abgerechnet:

Die Neigung zum Okkultismus ist ein Symptom der Rückbildung des Bewußtseins.

Theodor W. Adorno, Minima Moralia

Blavatskys Tentakeln reichen bis in die heutige Zeit. Unter dem Deckmantel der Philosophie ist sie heute noch präsent. Jorge Ángel Livraga-Rizzi gründete 1957 eine philosophische Hochschule «nach klassischer Art» mit der Absicht, die Lehren Blavatskys mit den Werken von antiken Philosophen zu verbinden. Aus dieser Schule entwickelte sich eine internationale erfolgreiche Organisation, die immer noch aktiv ist: die Neue Akropolis. Auch in Österreich ist sie stark vertreten. Gleich im Ort nebenan. Ich war in deren «Philosophie-Basiskurs». Und sie ist immer noch mit dabei, die Blavatsky. Wohldosiert eingestreut zwischen Platon und Co.

Ob Schopenhauer überhaupt etwas von der Blavsatsky gewusst hat, konnte ich nicht ausfindig machen. Ich vermute nicht, sonst hätte er sie sicher irgendwo erwähnt. Es ist auch nicht so wichtig.

Schopenhauer konnte aber mit seinen Untersuchungen eines bestätigen: Ja, es gibt Geister. Aber nur in den Köpfen der Menschen. Und da spukt leider einiges rum.


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