In der Klosterküche kann man viel lernen. Nein, ich meine nicht kochen. Die Restensuppe wird man eh nie so gut hinbekommen wie der tibetische Koch. Ich meine über den Buddhismus. Hier in der Küche spielt das Leben. Man kann noch so viele Bücher über Buddhismus lesen – hier spürt man ihn. Es braucht nicht viele Worte. Abgesehen davon verstehe ich von dem tibetischen Koch, ausser meinem Namen, eh nicht allzu viel. Meistens reichen der Name, ein Lächeln und ein Fingerzeig, und man weiss, was zu tun ist. Auch wenn es der Abwasch des angebrannten Topfes ist, dessen Instandsetzung dann schon fast in ein kleines Projekt ausartet. Und wenn man mal nicht versteht, was zu tun ist, kommt der Koch gelassen daher geschlurft und zeigt einem geduldig, was zu tun ist. Die Wertschätzung, die hier allem und jedem entgegengebracht wird, ist allgegenwärtig – sei es nur mit einem Lächeln, gefolgt von einem Nicken.
Heute bleibe ich nach dem Frühstück noch im Speisesaal sitzen. Die Küche ist gemacht, und es kehrt wieder Ruhe ein. Jetzt trinke ich erst mal in aller Ruhe meinen Tee und lese in meinem Buch. Ich setze gerade zum ersten Schluck Tee an, da höre ich meinen Namen aus der Küche – und schon bin ich mittendrin. Bei Minusgraden und in Hausschuhen. Mit einer eiskalten, zehn Meter langen Metallstange in den Händen versuchen wir zu zweit, den gesegneten Schmuck auf der Spitze des Fahnenmastes anzubringen. Zwei Mönche stehen daneben und rufen aufgeregt Anweisungen, die ich nicht verstehe. Vermutlich meinen sie links oder rechts. Es ist aber unmöglich, eine so lange Stange ruhig zu halten. Eine filmreife Szene. Es endet damit, dass wir eine wackelige Leiter aufstellen und ein Mönch die Leiter, die bedenklich hin- und herschwankt, hinaufklettert. Wir unten haben alle Hände voll zu tun, um mit klammen Fingern den Fahnenmast zu halten, der sich oben sicher schon einen Meter in unsere Richtung biegt. Ich schaue weg. Ich kann nicht zusehen, wie er da oben herumschwankt. Geschafft – er ist wohlbehalten wieder unten. Es ist nochmals gut gegangen. Zwei Tage später hat ein Sturm den Schmuck wieder runtergeweht. Jetzt wissen wir ja, wie das geht. Auf ein Neues ….
Das Resultat
Die Gelassenheit und Spontaneität, mit der die Mönche mit unvorhergesehenen Situationen umgehen, sind bemerkenswert. Es kommt ja meistens anders, als man denkt, und dann macht man halt das Beste daraus. Ändern kann man es eh nicht. Sie haben eines der wichtigsten Erkenntnisse des Buddhismus verinnerlicht: das Gesetz der Unbeständigkeit. Nichts bleibt bestehen, wie es ist – weder Stein noch Zustände. Alles verändert sich unaufhörlich. Wenn man diese Unbeständigkeit von allem um uns einmal erkannt hat, dann kommt man mit Unvorhergesehenem besser klar.
Und eine weitere Folge dieser Erkenntnis ist, dass die Anhaftung, welche die Ursache für viel Leid ist, versiegt. Diese Einstellung zeigt sich in ihrem ganzen unsteten Leben. Als Aussenstehender hat man ein komplett falsches Bild von einem Mönch im Kopf. Man meint, da sitzt einer mit einem langen, grauen Bart hundert Jahre allein in einem einsamen Kloster auf dem Berg und meditiert. Nichts da. Erstens gibt es auch Nonnen, und zweitens: In einem Kloster gibt es immer viel zu tun. Und es ist ein Kommen und Gehen. Werden die Mönche und Nonnen in ein anderes Kloster geschickt, dann packen sie ihre wenigen Sachen und sind für unbestimmte Zeit weg, manchmal für Monate. Sie reisen mit einem kleinen Rollköfferchen, mit dem wir uns nicht mal auf einen kurzen Städtetrip wagen würden. Und manchmal auch nur mit einer kleinen Umhängetasche. Zu packen gibt es eh nicht viel. Der einzige Besitz, den sie sich neben ein paar wenigen Kleidern leisten, sind in der Regel Bücher. Irgendwo haben sie ein kleines und bescheidenes Zimmer, in dem ihre wenigen Sachen stehen. Wenn man mit ihnen spricht, reden sie aber nicht davon, dass sie da wohnen. Sie sind nur da. Oder halt dort – wo man sie braucht. Sie haften weder an einem Ort noch an ihrem bescheidenen Besitz. Und stirbt ein Mönch oder eine Nonne, so packt man alle ihre Bücher in einen Karton und stellt sie in den Heizraum. Dort werden sie dann nach und nach verheizt.
Der Kamin
Draussen ist es immer noch eiskalt, und ich lese im warmen Zimmer mein Buch weiter. Vom Speisesaal her höre ich eine Glocke. Es ist der Koch. Kein anderer läutet die Essensglocke so energisch wie er. Es gibt bereits wieder Mittagessen – und sicher auch wieder ein paar schmutzige Töpfe …
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Zum Nachdenken:
Geshe Tashi Tsering ist ein bemerkenswerter Lehrer. Er hat die Gabe buddhistische Philosophie für uns «Westler» einfach und verständlich darzustellen. In diesem Video beschreibt er gut die «Nature of Impermanence»:

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«We all know that things change, but we need to understand this at more than an intellectual level - we must understand it instinctively, emotionally. Change has the potential to bring suffering, but it is important to realize that change is not suffering by nature. There is a big difference. The change from autumn to winter is nothing more than that - the change from autumn to winter. There are no emotions involved in the change of weather at all.»
Geshe Tashi Tsering: The Four Noble Truths, S.38
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