Der Übersetzer

Veröffentlicht am 4. Juli 2025 um 09:00

Karl Eugen Neumann

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Man fand das fertige Manuskript in seinem Nachlass. Die komplette Übersetzung für den dritten Band der längeren Sammlung des Pali-Kanons, des Dīghanikāyo. Fixfertig vorbereitet für den Druck. Man konnte es so, wie es war, dem Verleger übergeben. Noch ein Vorwort dazu und ab in den Druck.

Inspiriert durch Schopenhauer, hat Karl Eugen Neumann fast sein ganzes Leben der Übersetzung des Pali-Kanons gewidmet – vorwiegend den Reden des Buddha. Eine unglaublich akribische und zeitaufwendige Arbeit. Eine Lebensaufgabe. Viele Experten sind sich einig, dass seine Übersetzung dem Original am nächsten kommt. Auch viele buddhistische Mönche reden mit höchstem Respekt von seinen Übersetzungen. Und lange wurden wir Deutschsprachigen dafür von Anderssprachigen beneidet. Karl Eugen Neumann hat nicht nur versucht, den Sinn wahrheitsgemäss zu übersetzen, sondern auch den Klang der Verse. Sein breites Wissen über den Buddhismus befähigte ihn dazu.

Manche bezeichnen seine Übersetzung als veraltet. Klar, ab und zu hat es Wörter drin, die für uns etwas holprig und fremd wirken, weil sie eben heutzutage nicht mehr verwendet werden. Mittlerweile gibt es viele neue Übersetzungen. Mit modernerer Ausdrucksweise. Meistens vereinfacht und gekürzt. Halt, dass es für die Aufmerksamkeitsspanne der heutigen Menschen grad noch verkraftbar ist. Diese Reden zusammenzufassen, kommt mir aber irgendwie so falsch vor. So eine Zusammenfassung kommt nie an das Original ran. Dieses zu lesen, hat etwas Meditatives. Manchmal liest man und verliert sich in den sich wiederholenden Texten. Ganz beiläufig, schon fast versteckt im Text, stösst man dann auf die fundamentalen Grundsätze des Buddhismus. Man muss immer wieder seine Aufmerksamkeit bündeln, um in den sich teilweise marginal ändernden Reden den roten Faden zu finden. Aber darum geht es ja eben im Buddhismus genau – zu lernen, seinen Geist zu fokussieren.

Diese Übersetzungen von Karl Eugen Neumann zu lesen, ist selbst eine Lebensaufgabe. Sie zu lesen braucht Zeit, welche die modernen Menschen vielfach nicht mehr haben. Nicht umsonst gibt es Dutzende Apps und KIs, die darauf spezialisiert sind, Bücher auf ein paar wenige Seiten zusammenzufassen. Das wäre aber hier definitiv ein Fehler.

Als Karl Eugen Neumann 1884 zum Buddhismus konvertierte, war er vermutlich der erste Österreicher, der sich zur buddhistischen Lehre bekannte. Er hat sich aber noch über 20 Jahre, bis zu seinem Tod, mit den Übersetzungen beschäftigt. Bis die mittlere und die längere Sammlung der Reden Buddhas das erste Mal komplett übersetzt waren. Was für eine unglaubliche Pionierarbeit und Mammutaufgabe er da geleistet hat!

Karl Eugen Neumann ist am Morgen seines fünfzigsten Geburtstags gestorben. Sein Lebenswerk war getan. Ihm und seinem Werk wird bis heute Respekt gezollt. Die Kerzen auf seinem Grab scheinen jedenfalls neu:


Vorwort zum dritten Band der längeren Sammlung des Pali-Kanons, Ausgabe 1918:

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